Press Release

Invasion der Ukraine: Neue strategische Herausforderungen für die Verteidigungs-, Luft- und Raumfahrtindustrie

June 1, 2022
  • In Europa könnten die Verteidigungsbudgets in den kommenden zwei bis vier Jahren um knapp 20% steigen (von 306 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 365 Milliarden Euro)
  • Der Luftverkehr ausländischer Fluggesellschaften ist wenig von der Schließung des russischen Luftraums betroffen
  • Der starke Anstieg der Ölpreise innerhalb eines Jahres um das 1,7fache beeinträchtigt die Profitabilität der internationalen Luftfahrt
  • Ausfälle und Verzögerungen bei internationalen Raumfahrtprogrammen

München (01. Juni 2022) – Neben der entsetzlichen humanitären Situation erschüttert der Ukraine-Krieg als weiterer disruptiver Faktor das wirtschaftliche sowie geo- und sicherheitspolitische Gleichgewicht der Welt. Höhere Militärausgaben, der rasante Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise sowie Ressourcenknappheit haben Auswirkungen auf die Nachfrage und die Kosten für die kommerzielle Luftfahrt. Für den Luftfahrtsektor, der gerade erst stark von der Coronapandemie beeinträchtig wurde, birgt der Ukraine-Krieg kurzfristige Risiken, aber auch Chancen für alle Akteure. Zudem sieht sich die Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie mit mittel- und langfristigen strukturellen Veränderungen konfrontiert. Und auch der kommerzielle Luftverkehr ist beeinträchtigt. So wurden ein Großteil von den in Russland betriebenen Flotten im Besitz von Leasingunternehmen von staatlicher Seite beschlagnahmt.

Verteidigungshaushalte steigen in allen Ländern

Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine hatten seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 eine stetige Steigerung der Verteidigungsausgaben nicht nur in den osteuropäischen Ländern zufolge. So sind die globalen Militärausgaben insgesamt auf 2 Billionen Euro angewachsen. Der Kriegsausbruch hat nun darüber hinaus lange vernachlässigte Verteidigungsfragen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und löste direkt zu Beginn deutliche Zusagen zur Erhöhung des Verteidigungsbudgets vor allem unter den europäischen NATO-Mitgliedern aus.

Deutschland beispielsweise hat ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben eingerichtet, und immer mehr NATO-Länder sichern die Erreichung des gemeinsam vereinbarten Ziels zu, mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufzuwenden. In Europa könnte das dazu führen, dass die Verteidigungsbudgets in den kommenden zwei bis vier Jahren um knapp 20 Prozent steigen, von 306 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 365 Milliarden Euro. Die Budgets fließen allerdings zunächst in die Absicherung der heutigen Verteidigungsfähigkeiten, was Bestandsaufstockung von Ausrüstung, Munition, Raketen sowie Ersatzteile für und Neubeschaffung von schweren Waffen (Panzer, Flugzeuge und Hubschrauber) bedeutet.

Eine erste Bilanz des Krieges macht die Größenordnung deutlich: Nach drei Monaten hat Russland allen nachvollziehbaren Quellen zufolge mehr als 600 Kampfpanzer verloren, mehr als die Gesamtzahl der Panzer, die Frankreich und Deutschland zusammen besitzen.

„Europa verfügt nicht über die notwendigen Bestände, um einen Krieg mit derart hoher Intensität zu unterstützen. Um dem Investitionsdefizit in der Rüstungsindustrie der letzten Jahrzehnte zu begegnen, muss ein radikaler Wandel in Betracht gezogen werden, der eine Verkürzung der Produktionslebenszyklen und massive Investitionen in die Produktionskapazitäten erfordert“, erklärt Dr. Stefan Ohl, Managing Director bei AlixPartners in Deutschland. „Europa kann die Gelegenheit nutzen, die Verteidigungsindustrie grundlegend umzugestalten. Die jetzt freigegebenen Mittel sind auf die heutigen Fähigkeiten ausgerichtet. Mittelfristig brauchen wir aber Fähigkeiten der nächsten Generation und das erfordert entsprechend hohe Budgets, gute Koordinierung der Investitionen und vor allem eine echte europäische Zusammenarbeit in Politik und Industrie.“

Große Umwälzungen in der kommerziellen Luftfahrt

Der Luftverkehr ausländischer Fluggesellschaften ist von der Schließung des Luftraums und der Strecken nach Russland relativ wenig betroffen, da der internationale Verkehr mit Russland und der Ukraine nur 4 Prozent des europäischen Verkehrsaufkommens ausmacht. Die ukrainischen Fluggesellschaften stellten jedoch den Betrieb ein und die russischen Anbieter wichen auf ihren Heimatmarkt aus. So ist das Verkehrsaufkommen der Aeroflot-Gruppe im März 2022 um 20 Prozent zurückgegangen.

Mittel- und langfristig bestehen jedoch größere Risiken für die globale kommerzielle Luftfahrt. Der starke Anstieg der Ölpreise innerhalb eines Jahres um das 1,7fache – obwohl Kerosin nur 20 bis 25 Prozent der Kostenstruktur der Fluggesellschaften ausmacht – wird die Profitabilität um bis zu 40 Milliarden US-Dollar beeinträchtigen. Selbst, wenn ein Großteil des Anstiegs über höhere Ticketpreise und Treibstoffsteuern an die Passagiere weitergegeben werden kann. Mittel- bis langfristig wird auch die globale Inflation die Haushaltsbudgets belasten und die Rückkehr des Flugverkehrs auf das Vor-Covid-Niveau verlangsamen. Dies ist vor allem auf den Freizeit- und VFR-Verkehr (Visiting Friends & Relatives) zurückzuführen.

Zukünftige Konflikte zwischen Leasinggebern und Versicherern

Die gegen Russland verhängten EU-Sanktionen, die die Kündigung aller bis zum 28. März mit russischen Betreibern abgeschlossenen Leasingverträge vorsehen, treffen Russland stark. Denn die russische Gesamtflotte von 906 Verkehrsflugzeugen ist zu 80 Prozent in Leasingbesitz. Russland hatte im März ein Gesetz verabschiedet, das es russischen Unternehmen ermöglicht, diese Flugzeuge im Gesamtwert von 10 Mrd. USD in Besitz zu nehmen, indem sie sie bei den russischen Behörden registrieren lassen. Die Vermieter, von denen die größten im Zusammenhang mit diesen Ereignissen fast 4 Milliarden US-Dollar an Verlusten meldeten, wenden sich an ihre Versicherer: AerCap meldete beispielsweise einen Schaden von 3,5 Milliarden US-Dollar. Diese Situation wirft auch die langfristige Frage nach der Präsenz von Leasingunternehmen auf dem russischen Markt auf. 

Spannungen in der globalen Lieferkette

Das Auftragsvolumen für russische Verkehrsflugzeuge macht aktuell weniger als 1 Prozent des Gesamtauftragsbestands von Boeing und Airbus (95 Aufträge) aus. Die größte Unsicherheit besteht in der Auswirkung auf den A350-Produktionszeitplan für die nächsten zwei Jahre, da Aeroflot hier mit 14 Aufträgen eingeplant ist.

„Auch wenn der Auftragsbestand durch die Ukraine-Krise nur begrenzt gefährdet ist, ist die Zulieferkette für Verkehrsflugzeuge bereits durch frühere Krisen angespannt. Und im Bereich der Rohstoffe ist die globale Produktion in gewissem Maße von Russland abhängig. Insbesondere bei Titan und durch das russische Unternehmen VSMPO-AVISMA aus der Stahl- und Metallindustrie", erläutert Christian Leber, Director bei AlixPartners in Deutschland.

Verzögerungen bei internationalen Raumfahrtprogrammen

Auch in der internationalen Raumfahrt sorgt die aktuelle Situation für Unsicherheiten. So führen die internationalen Spannungen dazu, dass einige Projekte ausfallen mussten, u.a. da Russland den kommerziellen Start von Sojus-Kapseln auf dem Startplatz der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Kourou, Französisch-Guayana, abgesagt hat. Die ESA ihrerseits strich die Pläne für den Start des Projekts ExoMars mit einer russischen Rakete im September. Der Konflikt bringt die Akteure außerdem dazu, neue Kooperationen in Betracht zu ziehen. So könnten China und Russland beispielsweise eine Annäherung im Rahmen gemeinsamer Programme in Betracht ziehen, was dann Auswirkungen auf die jeweilige Zusammenarbeit mit der ESA hat.

Über AlixPartners

Die global agierende Unternehmensberatung AlixPartners ist spezialisiert auf anspruchsvolle Beratungsmandate für von disruptiven Trends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel oder Supply Chain Management besonders betroffene Unternehmen und Branchen. Zielgerichtete und ergebnisorientierte Unterstützung in hoch-relevanten, komplexen und kritischen Disruptions-, Restrukturierungs- und Transformationsprozessen ist das Markenzeichen von AlixPartners. Tiefgreifende Branchenexpertise und funktionale Kompetenz sowie die Kenntnis der richtigen Hebel aus einer Vielzahl erfolgreicher Beratungsprojekte führen in vertrauensvoller und partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den großen und mittelständischen Klienten zu dauerhaft herausragenden Ergebnissen. „When it really matters“.

Vom „manager magazin“ und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management & Beratung (WGMB) wurde AlixPartners auch 2021 als eines der besten Beratungsunternehmen ausgezeichnet. Seit über 40 Jahren unterstützen 2.500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in 24 Büros weltweit die Klienten von AlixPartners.

www.alixpartners.com 

Pressekontakt

LHLK Agentur für Kommunikation GmbH
Quirin Löffelmeier
T +49. (0) 89. 720187-298; alixpartners@lhlk.de

Learn more