Schneller, informeller, direkter – Disruption verändert die Zusammenarbeit zwischen Vorständen und Aufsichtsräten

05 July 2022
  • Laut der AlixPartners Studie wünschen sich 81 Prozent der Vorstände einen aktiven Aufsichtsrat als Sparringspartner und setzen auf informellen Austausch
  • Vorstände sehen Branchenexpertise als wichtigste Kompetenz für Aufsichtsräte (84 Prozent), gefolgt von finanzwirtschaftlicher Kompetenz (80 Prozent) sowie persönlichem Netzwerk (50 Prozent)
  • Nur 30 Prozent der Vorstände sagen, dass sich der Aufsichtsrat primär um seine Kontrollfunktion kümmern muss
  • Bei aktuellen Herausforderungen wie Digitalisierung, ESG und Cyberrisiko muss laut Vorständen die Expertise und damit Verantwortung eher beim Management liegen. Aufsichtsräte sehen vor allem Digitalthemen jedoch als zentrales Thema, bei dem sie Antreiber und Impulsgeber sind
  • Aufsichtsräte bewerten eine internationale, funktionale und von der Erfahrung her breite Zusammensetzung als sehr wichtig. Eine diverse Zusammensetzung des Boards ist aber nur für rund die Hälfte der Vorstände ein wichtiges Kriterium.
  • Die Bedeutung der Rolle der Aufsichtsratsvorsitzenden ist weiter gewachsen und für die Qualität der Aufsichtsratsarbeit entscheidend

München (05. Juli 2022) – Krieg in Europa, Rohstoff- und Personalmangel, hohe Energiepreise, Inflation und steigende Compliance-Anforderungen – die langjährige wirtschaftliche Basis-Stabilität wird zunehmend erodiert. Entscheidungen in Disruptions-Phasen sind schneller vorzubereiten und zu treffen. Laut aktuellem AlixPartners Disruption Index erwarten daher 94 Prozent der Führungskräfte in den kommenden drei Jahren einen signifikanten Umbau des Geschäftsmodells ihres Unternehmens. Dies hat auch Konsequenzen für die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Vorstand. Der AlixPartners Aufsichtsrats-Radar 2022  beleuchtet die Zusammenarbeit von beiden Seiten und zeigt: Bisher etablierte Prozesse und eine aus der originären Kontrollfunktion entwickelte Aufsichtsratsarbeit reichen nicht aus, um das Potenzial wirksamer Aufsichtsratsarbeit voll zu nutzen. Im disruptiven Marktumfeld ist eine breitere Rolle des Aufsichtsrats als Sparringspartner essenziell.

„Entscheidend wird sein, das Tempo der Disruptionen und die schnelle Entscheidungsfindung mit den Grundanforderungen der rechtlich vorgesehenen Überwachung in Einklang zu bringen“, sagt Andreas Rüter, Co-Autor der Studie und Geschäftsführer von AlixPartners in Deutschland. „Unternehmerisches Denken, dynamische Interaktion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie definierte Abläufe in Krisensituationen gewinnen daher in der täglichen Arbeit stark an Bedeutung“.

Zusammen mit dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Nadine Kammerlander an der WHU Otto Beisheim School of Management hat AlixPartners 100 Vorstände aus zehn Industrien zu ihrer Sichtweise auf die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat befragt. Die Antworten wurden anschließend mit 20 ausgewählten Aufsichtsräten in Einzelgesprächen gespiegelt.

„Die Aufsichtsratsarbeit lebt auch durch die Interaktion mit dem Vorstand. Die Einbeziehung der Perspektive der Vorstände ist daher sehr wertvoll für die Studie,“ erklärt Kammerlander.

Vorstände wünschen sich aktiven Aufsichtsrat als Sparringspartner
Aus den Befragungsergebnissen der Vorstände wird der Mehrwert der Aufsichtsratsarbeit deutlich: Mehr informelles Sparring, aber keine operative Einmischung und weiterhin formale Kontrolle. So wünschen sich vier von fünf Vorständen (81 Prozent) einen aktiveren Aufsichtsrat für themengeleitete Zusammenarbeit. Die Aufsichtsräte sollten ihr Know-how vor allem bei strategischen Fragen proaktiv einbringen. Einen stärkeren informellen Austausch sehen 84 Prozent der Vorstände als wichtiges Instrument an. Auch die befragten Aufsichtsräte erkennen die Notwendigkeit, sich in disruptiven Zeiten im informellen Sparring stärker inhaltlich einzubringen. Ideales Instrument hierfür sind gezielte bilaterale Gespräche mit dem Aufsichtsrat als Challenger des Vorstands.

Zwar sind nur 30 Prozent der Vorstände der Meinung, der Aufsichtsrat solle sich primär um seine Kontrollfunktion kümmern, trotzdem bestehen unterschiedliche Ansichten bei der Frage, wie weit Aufsichtsräte sich auch ins operative Geschäft einbringen sollen. Vorstände sprachen sich für eine klare Trennung der Rollen in Bezug auf Tagesgeschäft und strategische Themen aus. Die befragten Aufsichtsräte sehen dagegen kritisches Hinterfragen, mitunter auch des operativen Geschäfts, als Kernaufgabe, um ihrer Kontrollpflicht gerecht zu werden.

„Aufsichtsräten muss der Spagat gelingen: Überwachung aus gesunder Distanz und Sparring mit dem Vorstand nah am Geschehen“, so Dr. Jan Kantowsky, Co-Autor der Studie und Managing Director bei AlixPartners. „Aufsichtsräte sollten im Krisenfall in enger Abstimmung mit dem Vorstand flexibel und schnell Entscheidungen verabschieden. Das kann nicht immer im Konsens erfolgen, gerade in mitbestimmten Aufsichtsräten birgt das auch Herausforderungen.“

Unterschiedliche Perspektiven zur idealen Zusammensetzung der Aufsichtsräte
Bei der Zusammensetzung von Kompetenzen im Aufsichtsrat gibt es Unterschiede bei den Befragten. So wird Branchenexpertise von den Vorständen als eine der drei wichtigsten Kompetenzen (84 Prozent) für Aufsichtsräte gesehen, gefolgt von finanzwirtschaftlicher Kompetenz (80 Prozent) sowie Kontakten und Netzwerk (50 Prozent). Während diese Punkte auch von den Aufsichtsräten geteilt werden, zeigen sich Abweichungen in der Priorisierung der Kompetenz-Zusammenstellung eines Aufsichtsrats.

So erachtet nur etwa jeder fünfte Vorstand (21 Prozent) digitale Kompetenz im Aufsichtsrat für wichtig. Generell werden von den befragten Vorständen auch Themen wie ESG sowie Cyberrisiken eher dem operativen Geschäft und damit dem Kernbereich der Vorstandsarbeit zugerechnet. Für Aufsichtsräte gehören jedoch vor allem Digitalthemen zentral zu den Themen, in denen sie Antreiber und Impulsgeber sind. Auch ist eine diverse Zusammensetzung des Boards für nur rund die Hälfte der Vorstände bei Neubesetzungen ein wichtiges Kriterium. Aufsichtsräte dagegen bewerten eine internationale, funktional und von der Erfahrung her breite Zusammensetzung als sehr wichtig. So erwarten sie vor dem Hintergrund geopolitischer Herausforderungen beispielsweise künftig mehr Diplomaten in den Gremien.

„Der richtige Kompetenzmix wird in disruptiven Zeiten noch wichtiger. Bei der Besetzung der Aufsichtsräte dürfen jedoch auch Faktoren wie Empathie, Cultural Fit, Unabhängigkeit und Durchsetzungsfähigkeit nicht vergessen werden, um die Balance von formaler Kontrolle und informellem Sparring für das Unternehmen individuell zu optimieren“, kommentiert Andreas Rüter.

Bedeutung der Aufsichtsratsvorsitzenden und angemessene Vergütung
In allen Gesprächen – sowohl mit den Vorständen als auch den Aufsichtsräten – wurde betont, wie zentral die Rolle des bzw. der Aufsichtsratsvorsitzenden ist. Er bzw. sie ist Taktgeber und Moderator und orchestriert die Zusammenarbeit. Diese Rolle prägt damit entscheidend die Kultur der Zusammenarbeit. Erfahrung sowie Zeit-Commitment sind dabei wesentliche Erfolgsfaktoren zur schnellen und professionellen Reaktion auf Disruptionen.

Weitgehende Übereinstimmung besteht zudem beim Thema Motivation von Aufsichtsräten. So geht eine klare Mehrheit von 78 Prozent der Vorstände davon aus, dass Aufsichtsratsmitglieder aus intrinsischer Motivation am Board mitwirken. Eine proklamierte Müdigkeit an der Aufsichtsratstätigkeit konnte in den Gesprächen mit Aufsichtsräten nicht festgestellt werden. Eine besser an den steigenden Aufwänden und Haftungsrisiken ausgerichtete Vergütung kann jedoch auch dazu beitragen, hoch-professionelle und divers zusammengesetzte Aufsichtsräte zu etablieren.

Über den AlixPartners Aufsichtsrats-Radar 2022
Für den „Aufsichtsrats-Radar 2022“ wurden im Zeitraum von Januar bis Februar 2022
100 Vorstände aus zehn unterschiedlichen Industrien zu ihrer Sicht auf die Zusammenarbeit mit ihrem Aufsichtsrat/Beirat befragt, rund die Hälfte davon in der Position eines CEO.

Die zentralen Ergebnisse der Befragung wurden im Anschluss mit rund 20 ausgewählten Aufsichtsräten in offenen Interviews erörtert. Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit der WHU – Otto Beisheim School of Management als akademischem Partner. Um eine Vergleichbarkeit der Studie mit den Vorjahresstudien zu ermöglichen, orientierte sich das Fragedesign an fünf Dimensionen, mit denen auch bislang schon die Effektivität und Effizienz der Aufsichtsrats-Arbeit erfasst wurde:

(1) Qualifizierte Zusammensetzung und der richtige Kompetenzmix
(2) Strukturierter Auswahlprozess neuer Mitglieder
(3) Intensive Kommunikation und Kooperation mit der Unternehmensführung
(4) Effektive Risikomanagement- und Governance-Prozesse
(5) Angemessene Vergütung

Über alle Fragen hinweg wurde daher auch thematisiert, wie sich das Verhältnis zwischen Vorständen und ihren Boards vor diesem Hintergrund verändert hat.

Über AlixPartners
Die global agierende Unternehmensberatung AlixPartners ist spezialisiert auf anspruchsvolle Beratungsmandate für von disruptiven Trends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel oder Supply Chain Management besonders betroffene Unternehmen und Branchen. Zielgerichtete und ergebnisorientierte Unterstützung in hoch-relevanten, komplexen und kritischen Disruptions-, Restrukturierungs- und Transformationsprozessen ist das Markenzeichen von AlixPartners. Tiefgreifende Branchenexpertise und funktionale Kompetenz sowie die Kenntnis der richtigen Hebel aus einer Vielzahl erfolgreicher Beratungsprojekte führen in vertrauensvoller und partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den großen und mittelständischen Klienten zu dauerhaft herausragenden Ergebnissen. „When it really matters“.

Vom „manager magazin“ und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management & Beratung (WGMB) wurde AlixPartners auch 2021 als eines der besten Beratungsunternehmen ausgezeichnet. Seit über 40 Jahren unterstützen 2.500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in 24 Büros weltweit die Klienten von AlixPartners.

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