Der stationäre Einzelhandel in Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, der die Zukunft der Innenstädte prägen wird. In den letzten acht Jahren hat sich ein besorgniserregender Trend von Ladenschließungen durchgesetzt, der die deutsche Einzelhandelslandschaft nachhaltig verändert hat. Gab es im Jahr 2015 noch 373.000 Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland, so ist mittlerweile davon auszugehen, dass fast 71.000 Geschäfte ihre Türen für immer schließen mussten (siehe Grafik 1). Diese alarmierende Entwicklung wird deutlich sichtbar mit prominenten Insolvenzen großer Einzelhändler wie Galeria Karstadt Kaufhof, Esprit, Görtz und P&C sowie Hallhuber und Gerry Weber und wirft nicht nur wirtschaftliche, sondern auch grundlegende städtebauliche Fragen auf. 

  • Wie werden die Stadtzentren der Zukunft aussehen?
  • Wie fügen sich die Einzelhändler in die Städtezentren ein?
  • Welche Rolle spielen dabei Immobilieneigentümer?

Angesichts dieser Herausforderungen müssen Einzelhändler und Vermieter ihre Strategien anpassen, um relevant zu bleiben. Es braucht innovative Lösungsansätze, um die Attraktivität und Funktionalität unserer Innenstädte langfristig zu erhalten.

Grafik 1– Entwicklung von stationären Einzelhandelsgeschäften in Deutschland 

Ausgangssituation

Im stationären Einzelhandel basiert die Entscheidung über den Betrieb eines Ladengeschäftes in der Regel auf einer reinen Rentabilitätsprüfung – Geschäfte, die keinen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaften, werden geschlossen oder die Konditionen neu verhandelt. Seit Jahrzehnten kämpfen viele Einzelhändler, insbesondere in weniger bevorzugten Lagen (B- & C-Lagen), mit einem kontinuierlichen Rückgang der Rentabilität. Für diese Entwicklung gibt es eine Vielzahl an Gründen (siehe Grafik 2).

Grafik 2 – Die acht Hauptgründe für den Rückgang des stationären Einzelhandels

Dominierende Treiber für den Rückgang des stationären Einzelhandels sind das beschleunigte Wachstum und die Anpassung des Online-Handels, der Fachkräftemangel für qualifizierte Beratungsleistungen, die sinkende Kaufkraft der Kunden und das sich verändernde Verbraucherverhalten. Besonders jüngere Generationen (Generation Z und jünger) konsumieren überwiegend online. Die einfache Preistransparenz und der Zugang zu attraktiven Produkten (z. B. über Plattformen wie Shein und Temu) verstärken den Preisdruck auf stationäre Einzelhändler und die Notwendigkeit, zielgruppenspezifische Produktmixe anzubieten. Zusätzlich haben viele Kunden ihr Ausgabenverhalten angepasst und investieren mehr in Erlebnisse („Experience Economy“) als in reinen Konsum. Dagegen haben die Besucherfrequenzen in den meisten Innenstädten nach der COVID-19-Pandemie fast wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht (siehe Grafik 3). Dies unterstreicht den Wunsch der Verbraucher nach einem unmittelbaren Sozialleben in den Innenstädten und zeigt, dass die Herausforderungen der Einzelhändler nicht auf die Passantenfrequenzen zurückzuführen sind.

Grafik 3 – Besucherfrequenz in Innenstädten

Trotz dieser Herausforderungen kann der stationäre Einzelhandel Wettbewerbsvorteile gegenüber reinen Online-Händlern ausspielen, zusätzlich zur wichtigen Rolle für das Stadtbild und die angrenzenden Gewerbe wie Gastronomie, Unterhaltungsorte und Immobilieneigentümer (siehe Grafik 4). Ein wesentliches ökonomisches Argument für den stationären Handel ist die höhere Profitabilität, sobald ein Geschäft die notwendige Absatzmenge erreicht hat. Gleichzeitig bietet der stationäre Handel eine wirkungsvolle Plattform zur Wahrnehmung der eigenen Marke und ein direktes und gänzlich anderes Einkaufserlebnis als es im Online-Bereich möglich ist.

Grafik 4 – Die sechs Hauptgründe für die Relevanz des stationären Einzelhandels

Perspektive der Immobilieneigentümer

Die aktuellen Marktbedingungen stellen Immobilieninvestoren vor große Herausforderungen, dabei spielen insbesondere die steigenden Finanzierungs- und Entwicklungskosten sowie die strengeren ESG-Regulierungen eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus sind Eigentümer von Innenstadtimmobilien in besonderem Maße von den Entwicklungen im Einzelhandel betroffen.

Eine Analyse der Mietpreise und vermieteten Flächen in deutschen Großstädten zeigt seit 2018 deutliche Rückgänge. Obwohl sich die Lage nach dem COVID-Schock stabilisiert hat, könnte die erneute Insolvenz von Galeria Kaufhof und Signa einen weiteren Rückschlag darstellen. Besonders große Flächen in B- und C-Lagen sind stark betroffen, was die Mieteinnahmen erheblich beeinträchtigt. Angesichts der Veränderungen im Handel ist eine Rückkehr zum Vorkrisen-Niveau unwahrscheinlich.

Grafik 5 – Index-Entwicklung vermieteter Flächen und Mietpreise im Handel in deutschen Innenstädten

Die zentrale Frage lautet, ob sich Investitionen in Innenstädte weiterhin lohnen. Trotz der genannten Herausforderungen bleiben die grundlegenden Faktoren langfristig attraktiv. Die Besucherzahlen haben wieder fast das Vorkrisen-Niveau erreicht, was die Bedeutung der Innenstädte als zentralen Ort des Soziallebens unterstreicht. Der stationäre Handel wird den Online-Handel nicht vollständig ersetzen, insbesondere wenn sich Händler anpassen. Steigende Neubaukosten führen zudem zu stabilen und langfristig steigenden Mieten für Bestandsimmobilien. Werte in A-Lagen der Großstädte haben sich stabil gehalten, was Innenstadtimmobilien weiterhin zu einem wichtigen Bestandteil eines diversifizierten Portfolios macht. Um jedoch die Einnahmen langfristig zu sichern, sind Anpassungen notwendig.

Zwischenfazit

Der stationäre Einzelhandel in Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der die Zukunft der Innenstädte maßgeblich prägen wird. Die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte ist seit 2015 von 373.000 auf etwa 302.000 gesunken. Besonders deutlich zeigt sich das an prominenten Insolvenzen wie Galeria Karstadt Kaufhof und Gerry Weber. Um diesem Trend entgegenzuwirken, müssen Einzelhändler, Immobilienwirtschaft und Stadtplaner alte Denkweisen aufgeben und innovative Einkaufskonzepte entwickeln, die die Innenstädte für Verbraucher wieder spannend machen. Aus Sicht der Einzelhändler stehen dabei drei strategische Ansätze im Fokus: Produktivitätssteigerung, Erschließung neuer Umsatzkanäle und Wachstum des Store-Portfolios.

Produktivität

Einzelhändler stehen vor der Herausforderung, die gestiegene Besucherfrequenz in erfolgreiche Verkaufsabschlüsse zu verwandeln, besonders angesichts der sinkenden Kaufkraft. Eine überzeugende Verkaufsstrategie, effektives Personal und eine ansprechende In-Store Experience sind dafür unerlässlich.

Motivation ist die Basis für effektives Personal. Diese kann durch gezielte Anreize und ein verbessertes Arbeitsumfeld gesteigert werden. Flexible Arbeitszeiten, Zusatzleistungen und ein angenehmes Arbeitsklima sind entscheidende Faktoren. Darüber hinaus müssen Einzelhändler kontinuierlich in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren. Durch regelmäßige Verkaufs- und Produktschulungen können Verkäufer zu Experten ausgebildet werden, was zu einer signifikanten Steigerung der Abschlussrate führt.

Eine moderne In-Store Experience verbessert das Einkaufserlebnis der Kunden und unterstützt den Verkaufserfolg. Investitionen in technologische Innovationen und Self-Service-Tools sind hier ein wichtiger Baustein. Digitale Umkleidekabinen bieten ein interaktives und personalisiertes Anprobiererlebnis, während Virtual Reality es ermöglicht, Produkte in einer virtuellen Umgebung zu erleben. Self-Checkout-Kassen reduzieren Wartezeiten und erhöhen die Kundenzufriedenheit, während interaktive Kioske eigenständige Produktinformationen und Bestellungen ermöglichen.

Durch eine gezielte Kombination aus motiviertem, gut ausgebildetem Personal und einer innovativen In-Store Experience könnten Einzelhändler die Conversion Rate signifikant steigern und langfristig höhere Umsätze erzielen.

Zusätzliche Umsatzkanäle

Zur Umsatzsteigerung können Einzelhändler neue Umsatzkanäle erschließen. Die Vermietung von Ladenflächen an externe Partner mit komplementären Produktgruppen oder auf Umsatzbeteiligungsbasis kann zusätzliche Einnahmen generieren. Zu den weiteren potenziellen Umsatztreibern gehören Einnahmen aus Marketingaktivitäten im Bereich Retail Media. Im Online-Handel ist Retail Media längst etabliert, im stationären Einzelhandel hingegen oft vernachlässigt. Die Digitalisierung der Stores ermöglicht die gezielte Ausspielung von externen Werbeinhalten über Smart Signages an Kunden. Dadurch lassen sich zusätzliche Werbeeinnahmen generieren. Ein Beispiel ist die Schweizer Apothekengenossenschaft Toppharm, die digitale Signages in ihren Apotheken installiert und so einen attraktiven Werbekanal für rezeptfreie Medikamente geschaffen hat.

Store-Portfolio-Wachstum

Die aktuell niedrigen Mietkosten bieten außerdem die Möglichkeit, neue Stores mit geringeren operativen Kosten zu eröffnen. Dies kann durch Pop-Ups oder langfristig durch neue Stores erfolgen. Pop-Ups sind besonders für Einzelhändler mit begrenztem Investitionsbudget attraktiv, da sie weniger Lagerfläche und Personal erfordern und als Marketingtool Aufmerksamkeit für die eigene Marke schaffen. 

Für Immobilienverwalter können Pop-Ups eine lukrative Übergangslösung sein, um Leerstände temporär zu reduzieren. Einzelhändler mit größerem Investitionsspielraum können neue Stores eröffnen und attraktive langfristige Mietverträge sichern. Die aktuelle Marktsituation bietet Potenzial, den Store-Footprint zu erweitern.

Durch gezielte Investitionen in Produktivitätssteigerung, Erschließung neuer Umsatzkanäle und geplantes Wachstum des Store-Portfolios können Einzelhändler ihre Rentabilität steigern und ihre Marktposition stärken.

Perspektive der Immobilieneigentümer

Der Umbruch im stationären Einzelhandel hat zur Folge, dass der Bedarf von Verkaufsflächen in deutschen Innenstädten dauerhaft reduziert ist. Vermieter müssen ihr Angebot anpassen, um für Einzelhändler relevant zu bleiben. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Konzepte, die verschiedene Nutzungsformen auf den vermieteten Flächen einer Immobilie kombinieren und vielerorts bereits in vereinfachter Form umgesetzt werden. Um in der Innenstadt der Zukunft erfolgreich zu sein, ist jedoch eine Neuausrichtung des Ansatzes notwendig.

Immobilienbesitzer sollten auf kleinere Mietflächen setzen und eine diversifiziertere Mieterstruktur anstreben, um ein attraktives Angebot aus Einzelhandel, Gastronomie und Kultur zu bieten. Auch Pop-up-Stores haben in dieser Hinsicht ihr Potenzial bewiesen. Dabei sollten die spezifischen Kundenstrukturen und Bevölkerungsentwicklungen des jeweiligen Standorts stets berücksichtigt werden. Eine engere Zusammenarbeit mit den Mietern ist notwendig, um neue Store-Formate aktiv mitzugestalten und zu unterstützen. Dafür müssen Vermieter die notwendige Infrastruktur schaffen, insbesondere hinsichtlich Breitbandverfügbarkeit und Flexibilisierung der Store-Layouts.

Die Hauptherausforderung dieser Neuausrichtung liegt im Umbau der bestehenden Flächen und den damit verbundenen Investitionen. Zudem erfordern die Zusammenarbeit und das Management der höheren Anzahl an Mietern einen erheblichen operativen Aufwand. Nicht zuletzt ist mit städtebaulichen Restriktionen zu rechnen, was die wichtige Rolle der Stadtplaner bei der Neuausrichtung unterstreicht.

Um langfristige Zukunftsaussichten zu sichern, ist diese Neuausrichtung für Vermieter unumgänglich. Neben dem Megatrend der „Experience Economy“ bieten Mixed-Use-Konzepte eine Reihe weiterer Vorteile. Die Risikostreuung wird deutlich verbessert, kleinere Flächen können höhere Quadratmeterpreise erzielen, und die Entwicklung der gesamten Innenstadt trägt zur langfristigen Wertsteigerung der Immobilien bei. Investoren, besonders jene mit Leerständen oder Neubauten, sollten die aktuelle Situation als Chance sehen und die Neuausrichtung gemeinsam mit den Einzelhändlern vorantreiben.

Fazit 

Die Rentabilität vieler Geschäfte, insbesondere in weniger bevorzugten Lagen, ist unzureichend. Trotz der Erholung der Besucherfrequenz in den Innenstädten bleibt der Online-Handel ein dominanter Wettbewerber. Besonders jüngere Generationen bevorzugen den Online-Kauf, was den stationären Handel weiter unter Druck setzt. Dennoch bietet der stationäre Einzelhandel entscheidende Vorteile, wie die Stärkung der Markenbekanntheit und einzigartigen Kundenservice.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sollten Einzelhändler in innovative Ladenkonzepte investieren, die digitale Engagement-Tools nutzen. Beispiele hierfür sind der H&M-Flagship-Store in New York und Sephoras "Store of the Future" in Shanghai. Zudem ist exzellenter Kundenservice durch geschultes Personal und digitale Innovationen wie Self-Checkouts und Terminvereinbarungen entscheidend. Dynamisches Pricing und gezielte Rabattstrategien können helfen, den Preisdruck zu mindern und die Kundenloyalität zu erhöhen.

Immobilieneigentümer sollten auf Mixed-Use-Konzepte setzen, die verschiedene Nutzungsformen kombinieren, um ein attraktives Angebot aus Einzelhandel, Gastronomie und Kultur zu bieten. Eine diversifizierte Mieterstruktur und die Anpassung der Mietflächen können die Innenstadtbesucher binden und langfristige Wertsteigerungen erzielen.

Insgesamt erfordert die Zukunft des stationären Einzelhandels und der Innenstadtimmobilien Anpassungsfähigkeit und innovative Strategien, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die urbanen Zentren attraktiv zu halten.