Die zivile Luft-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie steht bei der Bewältigung des Aufschwungs nach COVID vor neuen disruptiven Herausforderungen
- Zweieinhalb Jahre nach Beginn der COVID-Krise erholt sich der Luftverkehr zunehmend und der Defense Sektor erfährt einen Aufschwung, insbesondere die Aussichten für das Segment der Single-Aisle-Flugzeuge sind positiv; darüber hinaus werden die Verteidigungsbudgets im Rahmen des Ukraine Konflikts massiv erhöht
- Gleichzeitig muss sich die Brache mit Risiken wie Inflation, hohen Energiekosten, Personalmangel, den Folgen des Kriegs in der Ukraine und globalen Lieferketten-Problemen auseinandersetzen, die den Ramp-up gefährden
- Zusätzlich wächst der Druck auf die Luftfahrt, den CO2 Ausstoß zu reduzieren und die selbst gesteckten Ziele zur Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen
- Im Jahr 2021 stieg die Zahl der M&A-Transaktionen in der Luftfahrtbranche um 58% im Vergleich zu 2020; trotz verschiedener Risikofaktoren im Markt, wie sinkender Liquidität, steigender Inflation und geopolitischen Spannungen wird ein weiterer Anstieg der Transaktionsaktivitäten erwartet
München, (15. Juli 2022) – Zweieinhalb Jahre nach Beginn der COVID-Krise erholt sich die Luft- und Raumfahrtindustrie - auch wenn viele Unternehmen nach wie vor hoch verschuldet sind - und verzeichnet dank eines deutlichen Anstiegs des Luftverkehrsaufkommens und gesteigerten Produktionsraten, insbesondere bei Single-Aisle-Flugzeugen (also Flugzeugen mit nur einem Mittelgang), wieder Gewinne. Zeitgleich profitiert die Verteidigungsindustrie von einer massiven Erhöhung der weltweiten Verteidigungsbudgets, was zu einer notwendigen Produktionssteigerung bei den meisten Programmen führen wird. Aufgrund der Lieferketteprobleme und Engpässen bei der Belieferung von Roh- und Halbfertigprodukten in verschiedenen Bereichen (z.B. Rohstoffe, darunter wichtige Metalle, elektronische Komponenten, Verbundwerksstoffe usw.) besteht ein Risiko, dass die erhöhte Nachfrage nicht nachhaltig bedient werden kann. Das sind die zentralen Erkenntnisse der „AlixPartners Aerospace, Defense & Aviation Study 2022".
Operative Herausforderungen schränken die Erholung der Luftfahrtbranche kurzfristig ein
Die Erholung des Luftverkehrs beschleunigt sich und war insbesondere im zweiten Quartal 2022 weltweit in allen Schlüsselregionen, mit Ausnahme von Asien, sehr stark. Der internationale Reiseverkehr erreichte 64% des Vorkrisenniveaus, bei Inlandsflügen sogar fast 80% (77% im Mai 2022). Auf Grund dieser Entwicklung könnte die Rückkehr zum Verkehrsniveau von 2019 zwischen Anfang 2024 und Anfang der zweiten Jahreshälfte 2025 erreicht werden. Obwohl auch Geschäftsreiseaktivitäten im Vergleich zu 2020 wieder stark zugenommen haben, erreichen sie im zweiten Quartal dieses Jahres nur 36% ihres Vorkrisenniveaus (bis Ende 2023 werden 70% erwartet). Die prognostizierte Erholung des Luftverkehrs fällt in einen Zeitraum, der durch signifikante Risiken geprägt sein wird, die die Branche erneut belasten können. Insbesondere ist hier das Risiko aufgrund makroökonomischer Herausforderungen wie Inflations- und Rezessionsgefahr zu nennen, die zu einem erneuten Rückgang der Geschäftsreisetätigkeiten führen können.
Die unerwartet starke und dynamische Erholung der Luftfahrtbranche mit positiven Preiseffekten für Fluggesellschaften geht mit erheblichen betrieblichen Schwierigkeiten an Flughäfen und bei Fluggesellschaften einher. Diese reichen von den Sicherheitskontrollen bis zum Bodenpersonal und von der Gepäckabfertigung bis zum Flugverkehrsmanagement; ebenso führt erheblicher Personalmangel bei Piloten und Kabinenpersonal zu massiven Einschränkungen des Flugplans – deren Ursache sowohl in starken Personalanpassungen zu Beginn der COVID-Krise liegt als auch in erhöhten krankheitsbedingten Ausfallzeiten, auch wieder maßgeblich durch COVID bedingt.
"Es gibt große Herausforderungen im Bereich des Personalmanagements nach der COVID-Krise - einer Zeit, in der die Belegschaft in einigen Bereichen stark – und teilweise auch zu stark - reduziert wurde“, sagt Stefan Ohl, Managing Director bei AlixPartners und ergänzt: „Die Industrie sieht sich mit einer unerwartet hohen Nachfrage konfrontiert und der Arbeitskräftemangel betrifft mehrere Stufen der Wertschöpfungskette. Diese Situation wirkt sich sowohl auf die Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit für Fluggesellschaften und Flughafeninfrastrukturbetreiber als auch auf den Hochlauf auf Seiten der Zulieferer und Dienstleister aus, insbesondere in Bereichen mit relativ niedrigen Qualifikationsanforderungen, wie bei Personal für Sicherheitskontrollen, das allerdings auf Grund von notwendigen Sicherheitsüberprüfungen nicht kurzfristig erhöht werden kann.“
Der Inflationsdruck ist bereits in der gesamten Wertschöpfungskette zu spüren: Die Treibstoffpreise steigen (der Preis für Kerosin erreichte im Juni 2022 die 175 US-Dollar Marke, im Juni 2021 lag dieser noch bei 96 US-Dollar), und Zulieferer in allen Branchen streben Preiserhöhungen im Zusammenhang mit gestiegenen Rohstoffen, Transport- und Energiekosten an.
Langfristig stellt sich die Frage, wie sich Treibstoffpreise, steigende Ticketpreise und Inflationsdruck auf Haushaltseinkommen sowie eine mögliche Rezession auf die Gesamtnachfrage der Airlines auswirken werden.
Auch auf Seiten der Hersteller von kommerziellen Flugzeugen stehen die Zeichen auf Erholung. Airbus kündigte bereits den Hochlauf der Produktionsrate des A320-Programms (Single-Aisle Programm) an, um bis 2025 eine Rekordzahl von 75 Flugzeug Auslieferungen pro Monat zu erreichen. Der Auftragsbestand von Airbus liegt bei rund 7000 Bestellungen (91% Single-Aisle und 9% Twin-Aisle), während Boeing rund 4200 Bestellungen (80% Single-Aisle und 20% Twin-Aisle) vorweisen kann. Diese Zahlen verdeutlichen den Vorsprung von Airbus insbesondere bei der A321neo im Mittelstreckensegment. Dennoch dominiert Boeing nach wie vor das Segment der Großraumflugzeuge, insbesondere aufgrund der jüngst gestiegenen Nachfrage nach Fracht- oder Militärderivaten (KC46), während Airbus die A350F als Frachtversion der A350 auf den Markt bringt, um Boeing in dem seit Beginn der COVID-Pandemie hoch dynamisch wachsenden Luftfrachtsegment entgegenzutreten.
Die Gesamtauslieferungen von Airbus Flugzeugen werden von der starken Erholung bei Single-Aisle-Flugzeugen angetrieben. Die Auslieferungsaussichten von Boeing hängen von der Reduzierung der Bestände an 737MAX- und 787-Flugzeugen ab, da Boeing Ende März noch über einen großen Bestand von über 400 produzierten, aber nicht ausgelieferten Flugzeugen verfügte.
Einen maßgeblichen Einfluss auf die Zukunft der 737 Familie dürfte die laufende Zertifizierung der 737MAX10 Variante haben, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein muss. Falls dies nicht fristgemäß erfolgt, wäre eine signifikante Veränderung des Cockpit Set-Ups erforderlich, was wiederum die Crew-Kompatibilität zwischen den verschiedenen Varianten der 737-Familie stark einschränken würde – dies war bisher ein starkes Verkaufsargument für die 737.
Längerfristig dürfte der Single-Aisle-Markt bereits 2023-2024 wieder das Vorkrisenniveau erreichen, während Langstreckenflugzeuge voraussichtlich bis 2026 unter dem Vorkrisenniveau bleiben.
"Vor diesem Hintergrund ist eine allmähliche Rückkehr der meisten Akteure in der Lieferkette von kommerziellen Flugzeugen zu einer positiven Profitabilität zu erwarten, insbesondere auch bei den Leasingunternehmen und Triebwerksherstellern, die im Jahr 2021 90% der Profitabilität der gesamten Wertschöpfungskette der Luftfahrt erwirtschafteten, die sich auf nur 8,8 Milliarden US-Dollar belief. Auch wenn dies eine starke Verbesserung im Vergleich zu den kumulierten Verlusten von 17 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 darstellt, ist es noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau: etwa fünfmal niedriger als 2018 und viermal niedriger als im Jahr 2019 – das bereits von der Krise der 737 MAX betroffen war", sagt Stefan Ohl, Managing Director bei AlixPartners. Er sieht allerdings die Gefahr, dass auf Grund des aktuell hohen Verschuldungsgrades bei vielen Zulieferern die Vorfinanzierung der angekündigten Produktionssteigerung in Verbindung mit steigenden Rohstoff- und Energiepreisen zur Schieflage einiger Unternehmen führen kann und dadurch der Konsolidierungsdruck in der Branche hoch bleiben dürfte und möglicherweise in einzelnen Fällen eine finanzielle Unterstützung von Lieferanten in Schieflage durch die OEMs erforderlich wird, um eine Aufrechterhaltung der Lieferfähigkeit zu gewährleisten
Erwartete Zuwächse bei den Aufträgen für Rüstungsgüter
Während die Verteidigungsbudgets in Europa nach Terrorwellen und der Annexion der Krim im Jahr 2014 bereits um etwa 3% pro Jahr gestiegen waren, überschritten die weltweiten Militärausgaben bis 2021 erstmals die Marke von 2,1 Billionen US-Dollar.
Der Krieg in der Ukraine löst eine massive Erhöhung der Verteidigungsbudgets aus, da sich viele NATO Mitgliedsländer jetzt mehr und mehr an der Zielvorgabe zu orientieren scheinen, die Militärausgaben auf 2% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, mit dem prominenten Beispiel des deutschen 100 Milliarden Euro Pakets, das als „Sondervermögen“ tituliert wurde. Dies könnte dazu führen, dass die europäischen Militärbudgets bis 2030 um mehr als 40% gegenüber dem Jahr 2021 steigen. Diese zusätzlichen Budgets werden für die Industrie in allen Segmenten – von Raketen und Munition bis hin zu Boden-, See- und Luftverteidigungssystemen sowie Verteidigungselektronik – zu erheblichen Auftragseingängen und Produktionssteigerungen führen.
M&A-Transaktionen nehmen weiter zu
"2021 war ein sehr dynamisches Jahr für M&A-Aktivitäten in der Branche, mit sechs Transaktionen im Wert von über 5 Milliarden US-Dollar und einer bedeutenden Konsolidierung bei den Akteuren in den Bereichen Leasing, Regierungsdienstleistungen und Flughafenbetreibern. Ein deutlicher Aufschwung im Vergleich zu 2020, mit Transaktionen, die noch nie dagewesene Multiples von durchschnittlich 13,8x erreichten", sagt Stefan Ohl, Managing Director bei AlixPartners.
Der Gesamtwert, der im Jahr 2021 angekündigten Transaktionen betrug 116,2 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von rund 338% im Vergleich zu 34,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 entspricht.
Für dieses Jahr erwartet AlixPartners trotz tiefgreifender Disruptionen, wie der Rückkehr der Inflation steigender Kosten für Kredite und allem voran dem Ukraine-Krieg, eine Fortsetzung der hohen Dynamik, des durch Zukäufe getriebenen Wachstums. Die Kombination aus einer nach wie vor hohen Investitionsbereitschaft des Marktes, Erholung nach der COVID-Pandemie sowie Möglichkeiten zur Konsolidierung durch geschwächte Akteure, kombiniert mit hohen Geldreserven insbesondere bei Private-Equity Fonds und SPACs könnten die M&A Aktivitäten weiter befeuern, auch wenn aktuell eine deutliche Abkühlung der M&A Aktivitäten zu beobachten ist. Darüber hinaus sind Veräußerungen von Vermögenswerten und Neukonsolidierungen geplant, um die Bilanzen zu stärken und die geplanten Erhöhungen der Produktionskapazitäten zu bewältigen. Der weiterhin starke Appetit von Private-Equity-Fonds und das wiedererwachte Interesse der Investoren am Verteidigungssektor, der früher in einem Atemzug mit Alkohol oder Tabak genannt wurde und heute zu einem Thema der Souveränität geworden ist, dürften die Dynamik ebenfalls unterstützen. Zusätzlich bieten die mit der Angekündigten CO2-Reduktion verbundenen Herausforderungen zahlreiche Chancen für die gesamte Branche, sowohl für die großen Akteure als auch für Start-ups.
Über AlixPartners
Die global agierende Unternehmensberatung AlixPartners ist spezialisiert auf anspruchsvolle Beratungsmandate für von disruptiven Trends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel oder Supply Chain Management besonders betroffene Unternehmen und Branchen. Zielgerichtete und ergebnisorientierte Unterstützung in hoch-relevanten, komplexen und kritischen Disruptions-, Restrukturierungs- und Transformationsprozessen ist das Markenzeichen von AlixPartners. Tiefgreifende Branchenexpertise und funktionale Kompetenz sowie die Kenntnis der richtigen Hebel aus einer Vielzahl erfolgreicher Beratungsprojekte führen in vertrauensvoller und partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den großen und mittelständischen Klienten zu dauerhaft herausragenden Ergebnissen. „When it really matters“.
Vom „manager magazin“ und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management & Beratung (WGMB) wurde AlixPartners auch 2021 als eines der besten Beratungsunternehmen ausgezeichnet. Seit über 40 Jahren unterstützen 2.500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in 24 Büros weltweit die Klienten von AlixPartners.
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