Lieferengpässe in der Automobilbranche setzen sich bis 2024 fort: OEMs überholen Zulieferer bei der Marge

28. Juni 2022
  • Absatzmarkt: China, Japan und Europa bremsen die Erholung
    • Geopolitische Disruptionen lassen weltweiten Absatzrückgang auf 78,9 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2022 erwarten
    • Bis 2024 werden die aktuellen Lieferengpässe, u.a. bei Chips und Rohmaterialien das steigende Produktionsvolumen limitieren
    • In Deutschland werden die Verkäufe bis 2024 auf 3,7 Mio. Einheiten steigen. Auf absehbare Zeit werden diese nicht mehr über das Niveau vor der Pandemie wachsen
  • Wirtschaftliche Situation OEMs und Zulieferer:
    • Die EBITDA-Marge der OEMs steigt auf über 12 Prozent, die der Zulieferer nur auf gut 10 Prozent, da höhere Materialkosten die Preiserhöhungen übersteigen
    • Die Rohmaterialpreise für Verbrenner verdoppeln sich seit 2020, die für voll-elektrische Fahrzeuge verdreifachen sich fast im gleichen Zeitraum
  • Elektromobilität: Beschleunigtes Wachstum und Absatzrekord
    • Weltweiter Absatz batterie-elektrischer Fahrzeuge (BEV) verdoppelt sich im letzten Jahr auf 6,75 Mio.
    • Europa wird 2035 mit einem BEV-Anteil von 83 Prozent aller verkauften Fahrzeuge eine weltweite Führungsrolle einnehmen (Deutschland im Jahr 2035: 96%), 2028 bereits 55 Prozent der Verkäufe in Europa erwartet
    • Chip-Knappheit hält trotz höherer Produktion bis mindestens 2024 an, da der Bedarf für BEV im Vergleich zu Verbrenner-Fahrzeugen um den Faktor 10 steigt
    • Steigende Rohstoffpreise verhindern weiteres Absinken der Batteriekosten, Verbreitung von LFP-Batterien wird signifikant zunehmen
  • Wandel der Geschäftsmodelle
    • Die angekündigten Investitionen in Elektrofahrzeuge haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt, auf 526 Milliarden Dollar bis 2026
    • Bei den OEMs wird sich die Anzahl der bestehenden Verbrenner- und Hybridmotoren-Programme in Europa zwischen 2024 und 2028 um ca. 33 Prozent reduzieren
    • Für OEMs sowie Tier-1-Zulieferer kann eine rechtzeitige, aktive Übergangsplanung ihrer Zulieferbasis zwischen 40 und 60 Prozent Restrukturierungskosten sparen, die sich global bis 2030 auf 70 Mrd. Dollar beziffern könnten


München (28. Juni 2022)
– Zwei Jahre nach Pandemie-Beginn haben der Ukraine-Krieg und Rohstofflieferengpässe Covid-19 als größte Herausforderung für die Automobilbranche abgelöst. Für das Jahr 2022 wird weltweit ein Absatzrückgang auf 78,9 Millionen Fahrzeuge erwartet. Gerade führende Autohersteller in China, Japan und Europa kämpfen mit den Auswirkungen der aktuellen Disruptionen. Dagegen verdoppeln wird sich der weltweite Absatz batterie-elektrischer Fahrzeuge (BEV). Doch auch im E-Segment ist Rohstoffknappheit ein bestimmendes Thema und lässt nach jahrelangem Sinkflug die Kosten für Batterien steigen. Die Branche braucht daher neue Lösungsansätze und Einnahmequellen: So setzen OEMs in Zukunft auf alternative Batterie-Optionen, zusätzliche Abo-Services oder erweitern ihre Wertschöpfungskette beim Thema Software.

Zu diesen Erkenntnissen kommt der AlixPartners Global Automotive Outlook 2022. Die global agierende Beratung hat für die Studie Bilanzen von mehr als 300 Automobilherstellern und -zulieferern ausgewertet sowie zentrale Ergebnisse aus Experteninterviews und Verbraucherumfragen aufbereitet. Zusätzlich wurde weltweit eine Umfrage unter 70 Automobilzulieferern für Antriebsstrang und Elektronik durchgeführt.

„Noch im letzten Jahr erholte sich die Automobilindustrie auch durch staatliche Unterstützungsprogramme von den Auswirkungen der Pandemie“, sagt Fabian Piontek, Managing Director bei AlixPartners. „Durch den Krieg in der Ukraine müssen sich Hersteller und Zulieferer zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit einer Disruption stellen, welche erhebliche Ausfälle provoziert und hinsichtlich des Verlaufs unberechenbar ist.“

Absatzrückgang am globalen Markt vor allem in China, Japan und Europa

Weltweit erwartet AlixPartners einen Absatzrückgang von 80,3 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2021 auf 78,9 Millionen im Jahr 2022 sowie voraussichtlich 238 Mrd. Euro weniger Umsatz, vor allem ausgelöst durch aus den geopolitischen Disruptionen resultierenden Lieferengpässen. Dabei verzeichnen China, Japan und Europa zwischen 2020 und 2022 den größten Rückgang (China: -0,3 Mio. Einheiten CAGR; Japan: -0,3; Europa: -0,8). Der Absatz auf dem europäischen Markt sinkt damit um 3 Prozentpunkte. Erst frühestens 2024 wird die Fahrzeugproduktion das Niveau vor Beginn der Pandemie erreichen.

In Deutschland werden die Verkäufe bis 2024 auf 3,7 Mio. Einheiten steigen, sich langfristig jedoch ab 2024 im Bereich von 3,2 Mio. bis 3,5 Mio. Fahrzeuge pro Jahr einpendeln. Sie liegen damit bis zu 500.000 Fahrzeuge unter den Verkaufszahlen vor Covid-19 und werden auf absehbare Zeit nicht mehr über das Niveau vor der Pandemie wachsen. Diese Zahlen spiegeln das mittel- bis langfristige veränderte Mobilitätsverhalten der Bevölkerung wider.  

Zwar stieg im Jahresvergleich die EBITDA-Marge der OEMs um 34 Prozent auf durchschnittlich über 12 Prozent, die der Zulieferer nahm jedoch nur um 18 Prozentpunkte auf gut 10 Prozent zu. „Damit haben OEMs wie Zulieferer die Rückgänge der Corona-Krise einigermaßen aufgeholt, letztere konnten jedoch nicht im gleichen Maße wie die OEMs von den Preiserhöhungen profitieren.“, sagt Fabian Piontek. Grund dafür sind die gestiegenen Rohmaterialkosten. Dies führt dazu, dass über die Hälfte des wirtschaftlichen Gewinns bis 2023 auf die Fahrzeughersteller entfällt – die Zulieferer hingegen erwirtschaften erst frühestens im kommenden Jahr wieder ähnliche Gewinne wie vor 2020.

„Die aktuellen geopolitischen Verwerfungen betreffen Hersteller in China, Japan und Europa durch die starke wirtschaftliche Verflechtung mit Russland und der Ukraine im Besonderen. Gerade in Europa ist es für die Hersteller wichtiger denn je, nachhaltig stabile Lieferketten aufzubauen“, erklärt Dr. Marcus Kleinfeld, Managing Director und Supply Chain Experte bei AlixPartners. „Außerdem sehen wir, dass die Zulieferer auch aufgrund der Preissetzungsmacht der OEMs unter starkem finanziellen Druck stehen. Hier ist eine langfristig stabile Beziehung der Schlüssel für künftigen Erfolg auf beiden Seiten.“ Die Rohmaterialpreise für Verbrenner-Fahrzeuge haben sich aufgrund der aktuellen Krisen seit 2020 verdoppelt, die Rohmaterialkosten für voll-elektrische Fahrzeuge im gleichen Zeitraum etwa verdreifacht. Elektrofahrzeuge, die umso mehr von Kobalt, Nickel und Lithium abhängen, reagieren damit noch empfindlicher auf steigende Rohstoffkosten als solche mit Verbrennermotoren.

Elektromobilität am Wendepunkt: Beschleunigtes Wachstum und Absatzrekord

Während der Absatzrückgang vor allem bei den Verbrennern zu verzeichnen ist, verdoppelt sich der weltweite BEV-Absatz von 2020 auf 2021 auf 6,75 Mio. Fahrzeuge. Laut AlixPartners wird diese Entwicklung 2022 auch weiter an Dynamik gewinnen. So zeigt auch der Beschluss des EU-Parlaments zum Aus für Verbrennermotoren, dass Europa im Elektromarkt auf dem Weg in eine Führungsposition ist. Bis 2035 kann dort mit einem BEV-Anteil von 83 Prozent aller verkauften Fahrzeuge gerechnet werden, schon in 2028 werden 55 Prozent aller Verkäufe Elektrofahrzeuge sein. Weltweit wird bis 2035 lediglich ein Anstieg auf 50 Prozent erwartet.

„Im Vergleich zu chinesischen Autoherstellern oder Tesla hinkt die deutsche Autoindustrie im Bereich E-Autos in China noch deutlich hinterher. Wenn ‚Made in Germany‘ weiterhin Qualitätsmerkmal bleiben soll, muss die die Aufholjagd deutscher Automobilhersteller spätestens jetzt gestartet werden, um in den nächsten Jahren am E-Aufschwung in China und global teilzuhaben. Kosteneffizienz und Profitabilität rücken zudem in den Vordergrund.“, sagt Fabian Piontek.

Auch an der BEV-Produktion gehen die aktuellen Ressourcenprobleme nicht spurlos vorbei. So hält laut der Studie die Halbleiterknappheit trotz höherer Produktion bis mindestens 2024 an. Der Bedarf von Chips wird für BEV im Vergleich zu aktuellen Fahrzeugen mit Verbrennermotor um den Faktor 10 steigen und dazu beitragen, dass die Kapazitäten nicht ausreichen werden, den gesamten Bedarf der Automobilindustrie zu bedienen.

Lieferengpässe sorgen auch dafür, dass die Kosten für die Batterieproduktion entgegen dem Trend der letzten Jahre wieder zunehmen. OEMs müssen daher verstärkt darauf achten, Rohstoffe für die Elektrofahrzeugproduktion zu sichern. Eine Möglichkeit, diesem Trend entgegenzuwirken stellen LFP-Batterien dar, bei denen in den nächsten Jahren mit einem Aufschwung für die niedrig- und mittelpreisigen Fahrzeuge gerechnet werden kann. Diese sind im Vergleich zu herkömmlichen NMC-Batterien deutlich günstiger und haben den Vorteil, dass sie nicht auf seltene Erden aus wirtschaftlich und politisch instabilen Regionen angewiesen sind. Allerdings gehen mit LFP-Batterien ein höheres Gewicht für die E-Autos und eine geringere Reichweite einher.

„Auf dem Weg zum Massenmarkt müssen E-Autohersteller die steigende Diversität ihrer Kundschaft berücksichtigen. Es muss Ladeinfrastruktur geschaffen werden, die es nicht nur Hausbesitzern mit eigener Ladestation ermöglicht, ihr Fahrzeug betriebsbereit zu halten. Auch Städter ohne eigene Parkmöglichkeit benötigen verlässliche Ladepunkte. Daher braucht es mehr Ladesäulen im öffentlichen Raum – beispielsweise für während des Einkaufs im Supermarkt oder während der Arbeitszeit. In der Integration von Ladestruktur in den Alltag der Kunden liegt der Schlüssel, um die E-Mobilität erfolgreich weiter auszubauen.“, ergänzt Christian Siekmann, Auto-Experte bei AlixPartners.

Wandel der Geschäftsmodelle

Die von OEMs und Zulieferern angekündigten Investitionen in Elektrofahrzeuge haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt und werden auf 526 Milliarden Dollar bis 2026 ansteigen. Bei den OEMs wird sich die Anzahl der bestehenden Verbrenner- und Hybridmotoren-Programme in Europa zwischen 2024 und 2028 um etwa 33 Prozent reduzieren. Damit steht die gesamte Automobilindustrie vor einem substanziellen Wandel.  „An einer rechtzeitigen und aktiven Übergangsplanung hin zu Elektromobilität arbeiten OEMs und Tier-1-Zulieferer derzeit aktiv, wir denken jedoch, dass sich die gesamte Industrie in den nächsten Jahren aktiv damit beschäftigen muss”, erklärt Dr. Marcus Kleinfeld und ergänzt „denn damit lassen sich laut unseren Prognosen zwischen 40 und 60 Prozent der global abgeschätzten Restrukturierungskosten in Höhe von 70 Mrd. Dollar einsparen“.

Neben dem Ausbau der E-Mobilität werden die Autohersteller auch ihre Geschäftsmodelle überarbeiten müssen, um weiter wachsen zu können. Eine Möglichkeit hierzu ist das vermehrte Angebot von Abo-Services. So können Autobesitzer bestimmte Funktionen ihres Fahrzeugs wie erhöhte Batteriekapazität oder Spurhalteassistenten für eine bestimmte Zeit buchen, ohne beim Fahrzeugkauf bereits den Aufpreis dafür zu zahlen. Diese oft KI-gestützten Services können dann über das Internet vom Hersteller freigeschalten und wieder gesperrt werden, ohne dass ein Werkstattbesuch nötig ist.

Der steigende Fokus der Hersteller auf Software-Entwicklung zeigt sich auch daran, dass die Anzahl der Partnerschaften im gesamten C.A.S.E-Bereich (Konnektivität, Autonomes Fahren, Sharing/Abonnements, Elektrifizierung) 2021 bei den Herstellern um 25 Prozent zugenommen haben, im Bereich Elektrifizierung betrug dieser Wert sogar 40 Prozent. VW belegt hier den zweiten Platz unter den Herstellern.

„Automobilhersteller sollten die Gunst der Stunde nutzen, zusätzliche Gewinne aus der verbauten Software zu generieren. Für OEMs ist es rentabler, diese flächendeckend, statt nur in Premium-Modellen zu verbauen, um nicht verschiedene Produktionsstraßen bedienen zu müssen. Durch die Freischaltung zu einem späteren Zeitpunkt können dann über die gesamte Lebenszeit des Fahrzeugs Einnahmen erzielt werden“, sagt Fabian Piontek.

„Vor allem in Europa muss sich jedoch die Denkweise der OEMs ändern. Denn in Zukunft werden diese vom Hardware- zum Softwarehersteller – dies macht die Autoindustrie zum direkten Konkurrenten der reinen Techfirmen. Da die Grenzen zwischen der Automobil- und Softwareindustrie zunehmend verschwimmen, wird sich der War of IT-Talents weiter verschärfen“, ergänzt Christian Siekmann.

Über AlixPartners

Die global agierende Unternehmensberatung AlixPartners ist spezialisiert auf anspruchsvolle Beratungsmandate für von disruptiven Trends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel oder Supply Chain Management besonders betroffene Unternehmen und Branchen. Zielgerichtete und ergebnisorientierte Unterstützung in hoch-relevanten, komplexen und kritischen Disruptions-, Restrukturierungs- und Transformationsprozessen ist das Markenzeichen von AlixPartners. Tiefgreifende Branchenexpertise und funktionale Kompetenz sowie die Kenntnis der richtigen Hebel aus einer Vielzahl erfolgreicher Beratungsprojekte führen in vertrauensvoller und partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den großen und mittelständischen Klienten zu dauerhaft herausragenden Ergebnissen. „When it really matters“.

Vom „manager magazin“ und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management & Beratung (WGMB) wurde AlixPartners auch 2021 als eines der besten Beratungsunternehmen ausgezeichnet. Seit über 40 Jahren unterstützen 2.500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in 24 Büros weltweit die Klienten von AlixPartners.

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