Wachsender Finanzierungsbedarf des Netto-Umlaufvermögens und weiter ansteigende Zinsen erfordern dringendes Handeln  

In der aktuellen Ausgabe widmen wir uns dem Finanzierungsbedarf durch ansteigende Lagerbestände, dem wachsenden Spannungsfeld zwischen Zahlungszielen der OEMs und eigenen Zulieferern und den Belastungen durch höhere Zinsen. Die wichtigsten Informationen in Kürze:

  • Finanzierungsbedarf des Netto-Umlaufvermögens der Zulieferer in Europa erhöhte sich um 19% (6 Mrd €) – von 31 Mrd € in 2021 auf 37 Mrd € in 2022
  • Lagerbestände erreichen mit einer Reichweite von 86 Tagen einen neuen Höchststand und sind mit einem Anstieg von acht Tagen gegenüber 2021 beziehungsweise 17 Tagen vor der COVID-Krise ein zentraler Treiber für den Anstieg des Netto-Umlaufvermögens und dem daraus resultierenden gewachsenen Finanzierungsbedarf
  • Die Profitabilität der Zulieferer ist nach kurzer post-COVID Erholung erneut unter Druck und mit 5.6% EBIT-Marge in 2022 erheblich unter der 8.1% EBIT-Marge von 2018
  • Die Verschuldungsgrade sind durch stark reduzierte Investment Cash Flows (-45%) der letzten fünf Jahre von 61% in 2020 auf 48% in 2022 zurückgegangen und nahezu erneut bei 44%, wie in 2018, jedoch mit erheblichem Investitionsstau
  • Der finanzielle Spielraum ist weiter durch höhere Zinslast bei geringerer Profitabilität eingeengt, reflektiert im Anstieg des Zinsdeckungsgrads (Zins/EBIT) von 14% in 2018 auf 20% in 2022
  • Ein Working Capital Programm mit Fokus auf Bestandsoptimierung ist ein zentraler Hebel für Zulieferer, um dem wachsenden Finanzierungsbedarf und Risiken aus Anstieg des Netto-Umlaufvermögens, geringerer Profitabilität und steigernden Zinsen entgegenzuwirken

Finanzierungsbedarf für Zulieferer steigt weiter
Zulieferer befinden sich aktuell in einer Sandwichposition zwischen OEMS und Inflation: Ihre Umsätze sind direkt abhängig von den Verkaufszahlen der OEMs, aber zeitgleich werden ihre Margen durch Inflation und den hohen Preisdruck ihrer eigener Zuliefererseite in die Zange genommen. Dies zwingt die Zulieferer Cash zu generieren, um zahlungsfähig zu bleiben und den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.

Dementsprechend erhöhte sich das Netto-Umlaufvermögen der Zulieferer in Europa von 31 Mrd € in 2021 auf 37 Mrd € in 2022 und liegt damit auch weit über dem Wert der letzten fünf Jahre. Der Cash Conversion Cycle erhöht sich von 74 Tagen auf 94 Tage, sodass Zulieferer das erhöhte Netto-Umlaufvermögen zusätzlich 20 Tage länger finanzieren müssen. Gleichzeitig erhöhten sich Lagerbestände im Zeitraum von 2018 bis 2022 von 24 Mrd € auf 31 Mrd €. Allein der Anstieg gegenüber 2021 betrug 6 Mrd €, befeuert durch Preisinflation, teils sehr langen Lieferzeiten und weiterhin hohen Sicherheitsabstände, und teils reduzierten Abrufen der Hersteller zum Jahresende. Insbesondere bei Elektronikbauteilen, gilt es mit Augenmaß den Aufbau an Sicherheitsbestände mit zunehmender Entspannung der Lieferketten und Verfügbarkeit die Bestandsregeln zu überdenken.

Lieferantenverbindlichkeiten erhöhten sich von 26 Mrd € in 2018 auf 29 Mrd € in 2022. Zulieferer bezahlen ihre eigenen Rechnungen nach 74 Tagen verglichen mit 70 Tagen in 2018. Kundenverbindlichkeiten erhöhten sich von 34 Mrd € in 2018 auf 36 Mrd € in 2022. Neben dem Anstieg der Verbindlichkeiten zahlen Kunden ihre Rechnungen erst nach 82 Tagen und somit eine Woche später als 2018, als es noch 75 Tage waren.

Möglichkeiten der weiteren Streckung von Zahlungszielen sowohl auf der Kunden- als auf der Lieferantenseite scheinen begrenzt. Die EU-Richtlinie zur „Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“ sieht vor, dass Unternehmen Rechnungen innerhalb von höchstens 60 Tagen begleichen müssen, es sei denn, im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart, und vorausgesetzt, dies ist für den Gläubiger nicht grob nachteilig.


Der Verschuldungsgrad ist bei stark reduzierten Investment Cash Flows zurückgegangen
Der Verschuldungsgrad ist durch einen stark reduzierten Investment Cash Flows (-42%) der letzten fünf Jahre von 61% in 2020 auf 48% in 2022 zurückgegangen. Er liegt damit nahezu erneut bei 44%, wie in 2018, jedoch mit erheblichem Investitionsstau.

Investitionen für neue Werke, Anlagen und R&D wurden in den letzten drei Jahren radikal zurückgefahren. Gemessen am Niveau von 2018 hat sich allein für die hier betrachteten Unternehmen in diesem Zeitraum eine Lücke von 13 Milliarden Euro bei Investments angehäuft. 

Verbesserungen im Netto-Umlaufvermögen leisten einen wichtigen Beitrag, um dringende Investitionen finanzieren zu können, ohne den Verschuldungsgrad erneut anzuheben.

Eine Optimierung des Cash Conversion Cycle je 1 Tag setzt ~400 Mio € an Liquidität frei. Bei Schließen der entstandenen Lücke von 20 Tagen gegenüber 2018 (94 Tage versus 74 Tage) beläuft sich der Betrag allein für die betrachteten 37 Autozulieferer auf 8 Mrd €.

Finanzieller Spielraum eingeengt durch höhere Zinslast bei geringerer Profitabilität
Der Zinsdeckungsgrad (Zins/EBIT) der Automobilzulieferer steigt durch eine höhere Zinslast bei geringerer Profitabilität von circa 14% in 2018 auf circa 20% in 2022 und engt damit den finanziellen Spielraum der Zulieferer weiter einAllein die betrachteten 37 Unternehmen wandten in 2022 rund 2.1 Mrd € für Zinszahlungen auf.

Der Anstieg der Leitzinsen sowie die restriktive Haltung der Ratingagenturen und Banken zum Autozulieferersektor erhöhen die Zinslast zunehmend, sodass mit einer weiteren Verschlechterung der Konditionen gerechnet werden muss. Eine Erhöhung der Zinsen um 1pp würde den Zinsdeckungsgrad bereits auf 23% ansteigen lassen und Zulieferer dazu zwingen, nahezu jeden vierten Euro der Gewinne zur Bedienung der Zinslast aufzuwenden.

Fazit: Working Capital Programm mit Fokus auf Bestandsoptimierung als zentraler Hebel
Um die Lücke von 20 Tagen im Cash Conversion Cycle gegenüber 2018 bei der Finanzierung des Netto-Umlaufvermögens wieder schließen zu können, spielt eine Verringerung der Lagerbestände um 17 Tage eine zentrale Rolle.

Lagerbestände lassen sich maßgeblich durch unternehmensinterne Maßnahmen reduzieren, während Verbesserungen bei Lieferanten- und Kundenzahlungsverhalten mit intensiven Verhandlungen zu Konditionsänderung einhergehen.

Unsere Projekterfahrung zeigt, dass sich in vielen Fällen eine Bestandreduzierung von 25-30% bei gleichem oder verbessertem Servicelevel innerhalb von 4-6 Monaten umsetzen lässt. Voraussetzung hierfür ist ein breit angelegtes Programm, das über die Rationalisierung des Bestandes hinausgeht und Folgendes beinhaltet:

(1) Optimierung der Planungsparameter und Vorgaben 
(2) Anpassung der Bestell- und Produktionslosgrößen
(3) Aufräumen von Überbeständen/Obsoleten und Sperrbeständen 
(4) Exzellenz Themen wie zeitnahes Vereinnahmen und Verbuchen von Liefer- und Produktionsbeständen
(5) Transparenz in der Bestandsentwicklung gekoppelt mit Frühindikatoren
(6) Ersatzteilmanagement für die Instandhaltung ausgerichtet auf Ausfallwahrscheinlichkeiten und Kapitalbindungskosten
(7) Verbesserung der Planungs- und Prognosegüte 
(8) Verbesserung der Flexibilität, speziell der Fixierungshorizont und Vorlaufzeiten
(9) Optimierung der Transportstrecken, Abhol- und Abladepunkt um Durchlaufzeiten zu reduzieren (10) Verbesserte Planung von Produktionsan-/ausläufen und Ersatzteilgeschäft

Neben dem intensiven Tagesgeschäft ist dies oft nur schwer in den bestehenden Strukturen umsetzbar, sodass ein dediziertes Kernteam die Koordination des Working Capital Programms für vier bis sechs Monate übernehmen sollte.

Haben Sie weitere Fragen oder Anregungen zum Aufsetzen von wirksamen Working Capital Programmen und Bestandsoptimierung? Sprechen Sie mit unseren Autoren des aktuellen Newsletters.

 

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